Diplomarbeit 2017

Familienstellen und Sexualität

Familienstellen - Beziehung - SexualitätJa zum Leben - Ja zur Sexualität

In dieser Diplomarbeit untersuche ich die familiensystemischen Zusammenhänge und Verstrickungen sexueller Schwierigkeiten, Leidenswege und körperlicher Störungen. Dabei setze ich voraus, dass Sexualität nicht ohne eine zwischenmenschliche Beziehung stattfindet, die auch eine emotionale Bindung beinhaltet. Die sozio-emotionale Bindung beeinflusst das Erleben und Verhalten der Bindungspartner auf allen Ebenen - letztlich auch die Sexualität. Daher sind die Beziehungsdynamiken in Paarbeziehungen ebenfalls Gegenstand meiner Betrachtung. Im Gegensatz zu anderen Quellen und Autoren stellt meine Arbeit einen Zusammenhang zwischen der Dynamik von Paarbeziehungen und den damit verbundenen sexuellen Schwierigkeiten und Störungen her. Sie vermittelt mit Hilfe des systemisch-phänomenologischen Familienstellens Beispiele für einen ganzheitlichen Lösungsansatz zum Umgang mit sexuellen Problemen, indem sie die Sexualität aus philosophischen, tantrischen und systemischen Blickwinkeln betrachtet.

 

Ausgangslage

In der Literatur zum Familienstellen (Hellinger, Schäfer, et alt.), finden sich meist nur kurze Kapitel über Sexualität. Auch werden dort selten konkrete Beispiele zum Thema Sexualität genannt. Umgekehrt finden sich in der Literatur zu Disziplinen wie der Systemischen Sexualtherapie (Clement, Eck, et al.), der Tantrischen Sexualtherapie (Andro) oder Forschungen zu Beziehungsdynamik und Sexualtherapeutischen Methoden (Schnarch, Bartels, et al.) zwar reichlich Beispiele über sexuelle Schwierigkeiten und Störungen, werden aber selten bis gar nicht in Bezug zu Familiensystemen gestellt. Hauptsächlich finden sich Hinweise auf traumatische Kindheitserlebnisse oder ungünstige Voraussetzungen im Elternhaus, wie etwa Suchtthemen (allen voran Alkoholismus) oder Gewalt. Die Familiensystemische Literatur hingegen fokussiert im Wesentlichen auf die Beziehungsdynamik zwischen Eltern und Kindern, sowie die Dynamik von Paarbeziehungen und deren systemische Grundlagen. Daneben gibt es auch reichlich Veröffentlichungen zum Thema Tantra im Allgemeinen, Sexualität von Männern oder Frauen und natürlich medizinische Fachliteratur. Sexualität fristet immer noch ein Außenseiter-Dasein, auch wenn vielerorts von „Sexualität als Lebenskraft“ gesprochen wird und der Fortbestand der Menschheit dem Vollzug der Sexualität zu verdanken ist.

 

Methodik

Für diese Diplomarbeit habe ich Fallbeispiele aus meiner eigenen Tätigkeit als Familiensteller, Tantralehrer, Männercoach und Paarberater herangezogen. Darüber hinaus habe ich einen öffentlichen Aufruf gestartet und Menschen gesucht, die bereit sind, ihre persönlichen Erfahrungen mit sexuellen Themen in Familienaufstellungen zu berichten. Dazu habe ich einen Fragebogen entworfen, der neben den wesentlichen persönlichen Daten (Name, Alter, Geschlecht - selbstverständlich anonymisiert) die folgenden Punkte umfasste:

  1. Wie bist Du zu Familienstellen gekommen? (Eigener Antrieb, Interesse, Empfehlung)?
  2. Hast Du Erfahrungen mit eigener/n Aufstellung(en)? Auch als Stellvertreter?
  3. Welches konkrete Anliegen hat Dich bewogen, eine Aufstellung zu machen?
  4. Hast Du in der Gruppe mit Stellvertretern gearbeitet, oder in einer Einzelsitzung?
  5. Welches Thema wurde aufgestellt? Wie war der Ablauf der Aufstellung?
  6. Gab es „heilsame Sätze“?
  7. Welche Erkenntnisse hast Du aus der Aufstellung gezogen?
  8. Welche Veränderungen haben sich in Deinem Leben nach der Aufstellung gezeigt?
  9. Gab es auch Veränderungen in Deiner Sexualität?

Insgesamt konnte ich 14 Menschen interviewen. Davon 3 Aufsteller-Kollegen für die die Interviewfragen entsprechend angepasst wurden. Den Großteil der Interviews habe ich telefonisch, den kleineren Teil im persönlichen Gespräch geführt. 4 Menschen hatten keine eigenen Erfahrung mit Familienaufstellungen, waren aber interessiert teilzunehmen und konnten mit ihrem Thema betreffend Sexualität einen Beitrag zu dieser Arbeit leisten. Meist zeigte sich bei diesen schon im Gespräch (Genogramm-Arbeit) ein Hinweis auf eine familiäre Verstrickung ihres Anliegens. Die insgesamt 38 in der Arbeit beschriebenen Fallbeispiele stammen zur Hälfte aus eigenen Erfahrungen und Interviews mit Einzelpersonen. Die andere Hälfte wurde freundlicherweise von Aufsteller-Kollegen beigesteuert.

Die ursprüngliche Idee war, Fallbeispiele zu allen im ICD-10 genannten sexuellen Störungen zu finden. Diesen Plan habe ich aus Gründen der Zeit und des zu erwartenden Umfangs verworfen.

Persönliche interdisziplinäre Kenntnisse aus Tantra, Reiki, Schamanismus, praktische Erfahrungen in Gruppen, Seminaren und Einzelsitzungen,  sowie Literaturstudium runden die Arbeit ab.

 

Ergebnisse

Die Auswertung der Fallbeispiele kann und will keinen repräsentativen Anspruch erheben. Sie spiegelt allenfalls den augenblicklichen Querschnitt meiner eigenen Klientel und meine Vernetzung innerhalb der Familiensteller im deutschsprachigen Raum wider. Andererseits ist mir  keine vergleichbare Sammlung von Fallbeispielen zum Thema Sexualität bekannt. Insofern sehe ich darin eine Pionierleistung.

Ich will die Ergebnisse hier bezüglich der Symptomatik in drei Gruppen darstellen:

  1. Sexuelle und/oder partnerschaftliche Schwierigkeiten und Probleme (darunter Beziehungsunfähigkeit, sexuelle Verweigerung, kein Sex, alternative Beziehungsformen)
  2. Sexuelle Störungen nach ICD-10 (Impotenz und erektile Dysfunktion, Prostata-, Hoden- und Brustkrebs)
  3. Sexuelle Orientierung und Identität (Homosexualität, Crossdressing, Transsexualität)

In der größten Gruppe a) finden sich am häufigsten Missbrauch (4x) und Vergewaltigung (4x), verlorene oder ausgeschlossene Familienmitglieder (3x), Loyalität zu / Identifizierung mit Ahnen (3x), Triangulation (2x), sowie Ablehnung der Mutter, Sühne, Familiengeheimnis und Ausgleich.

In der Gruppe b) zeigen sich Loyalität zu / Identifizierung mit Ahnen (5x), Tod im Kindbett (2x), verlorene oder ausgeschlossene Familienmitglieder und ein Fluch.

In der Gruppe c) gibt es alle auch von Bert Hellinger genannten Verstrickungen und Schicksale.

 

Deutung und Einordnung

Sexualität und ihre Symptomatik lassen sich nicht isoliert betrachten. Sie finden immer innerhalb eines mehr oder weniger festen Beziehungsverhältnisses statt. Damit sind sie gekoppelt mit der Dynamik dieser Beziehung und deren Symptomatik, wovon die Symptome auf sexueller Ebene wieder ein Ausdruck sind. Es ist also eine ganzheitliche Betrachtung notwendig, in der die Sexualität den ihr gemäßen Platz einnimmt. Im Sinne der Rangfolge tut sie das (noch) nicht. Eher gehört die Sexualität in unserem Kulturkreis immer noch zu den Verbannten und Ausgestoßenen. Daher nimmt es auch nicht Wunder, dass sie auf unerwünschte und gewalttätige Weise durch die Hintertür wieder hereinkommt durch Pornographie, Missbrauch und Vergewaltigung. Auch die Sexualität hat ein Recht auf Zugehörigkeit in unserem Leben. Wenn dem Rechnung getragen wird, fallen die meisten systemisch bedingten Ursachen für die oben genannten Symptome weg.

 

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